Anno 1880 – 08.05.1930 Das Kalibergwerk Hercynia im Harly

Die Geschichte des Kalibergwerkes Hercynia im Harly von 1884 – 1930

Das Jahr 1861 ging (mit der Aufnahme der planmäßigen Produktion von angereichertem Kaliumchlorid) als das eigentliche Gründungsjahr der deutschen Kaliindustrie in die Geschichte ein. Ab diesem Zeitraum setzte eine rasante Entwicklung dieses Bergbau-Industriezweiges ein, welche als Kalifieber in die deutsche Geschichte einging.

Das einst bei Wiedelah eingerichtete und später bis nach Vienenburg und Wöltingerode wachsende Kalibergwerk im Harly war die erste Bergwerksanlage zur Nutzung von Kalisalzvorkommen in Niedersachsen. Das Bergwerk wuchs zu einem der bedeutendsten Kaliproduktionsstätten in Deutschland heran.

Ab 1884 wurde der Schacht I geteuft. Er wurde Neubauer-Schacht genannt, nach dem Bankier F. A. Neubauer des gleichnamigen Bankhauses in Magdeburg , der u. a. mit im Grubenvorstand seinen Sitz hatte. Bereits 1886 konnte die Produktion auf Schacht I aufgenommen werden, die 44 Jahre anhielt, bis 1930 durch einen Laugeneinbruch die Katastrophe hereinbrach und das Bergwerk für immer lahm legte.

Bis 1906 produzierte das Bergwerk unter dem Namen „Gewerkschaft Hercynia“ und anschließend unter „Berginspektion Vienenburg“. Der Namenswechsel wurde auf Grund der Verstaatlichung durch den Königlich Preußischen Berg- Fiskus durchgeführt. Allerdings hat Preußen zur Zufriedenheit des Bankenkonsortiums einen Superpreis dafür gezahlt, nämlich 30 Millionen Mark. Politisch-administrativ lag das Wiedelaher / Vienenburger Gebiet in der preußischen Provinz Hannover, das Werk gehörte nach dem Kauf aber zur preußischen Provinz Sachsen.

Am 16.01.1906 berichtet die Münchener Allgemeine Zeitung unter den Handelsnachrichten über ein Angebot der preußischen Regierung zum Kauf des Kaliwerkes Hercynia:
x Angebot zur Verstaatlichung des Kalibergwerkes x

Grundeigentümer dieses 6000 Morgen umfassenden Gebietes war die Königliche Klosterkammer zu Hannover. Sie übertrug die Abbaurechte auf Kalisalz im Jahre 1885 an ein Konsortium, das vom Bergwerkbesitzer Castendyk dafür gegründet worden war. Das Gebiet erstreckte sich über die Forstorte Harlyberg, Harlyburg, Konthurberg bis zum Klostergut Wöltingerode. Gleich 3 Bohrgesellschaften hatten durch 6 Tiefbohrungen in den Jahren vor 1884 festgestellt, dass genügend kaliflözhaltige Zechsteinsalze vorhanden waren.

Am 14.03.1887 übernahm die Gewerkschaft Hercynia anhand eines Vertrages die Rechte des Gründungskonsortiums. Im Grubenvorstand befanden sich u. a. mehrere Bankiers, wie z. B. aus dem Schaafhausenschen Bankvereins und der Magdeburger Bank F. A. Neubauer. Letztere fungierte auch als Zahlstelle der Gewerkschaft und lieferte auch den Namen für Schacht I.
Der Bergwerksbetreiber hatte für das Abbaurecht einen Förderzins von 1 Pfg. pro Zentner Steinsalz und 2 Pfg. pro Zentner Kalisalz sowie 8% des Reingewinns an die Klosterkammer zu entrichten. Das Abbaurecht war durch den Pachtvertrag bis zum Jahr 1943 gewährleistet.
Das Werk wurde von dem 31-jährigen Generaldirektor (später Bergrat) Berthold Wiefel bis zu seinem Tode 1911 geleitet.

Zunächst erhielt der Neubauer-Schacht eine Teufe von 450 m ehe er dann 1914 auf 600 m vertieft wurde. Später wurde dann ca. 1000 m westlich ein sehr wertvolles Kaliflöz entdeckt, dass als Flöz „Ronnenberg“ bezeichnet wurde. Die günstigere Lagerstättensituation in diesem Westfeld wurde zum Anlass genommen, in ca.1500 m Entfernung von Schacht I zwischen 1894 bis 1897 den Schacht II zu teufen. Der neue Schacht erhielt zunächst eine Teufe von 453 m, die aber bis auf 616 m weiter gebracht wurde. Schacht II wurde 1897 in Betrieb genommen und diente ab 1899 als Hauptförderschacht. In diesem erschlossenen Bereich wurden in den Folgejahren sechs Sohlen eingerichtet und 1910 begann man in 675 m bereits mit der siebten Sohle. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde der Umbau der Fördereinrichtungen des Schachtes II zwecks Produktionssteigerung fertiggestellt. Damit wurde dann etwas später die Förderung auf Schacht I eingestellt. Da die Landwirte gern mit dem Rohsalz Kainitit ihre Felder düngten, wurde der Abbau dieses Salzes auch in anderen Salz-Bergwerken sehr intensiv betrieben, was allerdings bald zu verhängnisvollen Wassereinbrüchen führte. Die Hauer hatten eine schwierige Arbeit zu verrichten, Sie mussten auf einem wackligen Gebrückbau die riesige Handkurbel der Lisbetschen Bohrmaschine manuell bedienen und hatten nur schwache Öllampen als einzige Lichtquelle. Elektrische Bohrmaschinen und Karbidlampen kamen erst nach der Jahrhundertwende zum Einsatz. Erst 1895 wurden Bergpolizeiverordnungen erlassen, die auf die Gesundheit und Sicherheit der Bergleute Rücksicht nahmen. Das Gestein wurde mit Sprengsalpeter gelöst und von Förderleuten in Handarbeit auf Förderwagen geladen und zum nächsten Blindschacht manuell transportiert. Die Strecke war ca. 100 m lang, und es wurde eine Leistung von 35 – 40 Wagen pro Mann erwartet. Der Förderwagen (Hunte) fasste rund 600 kg Salz. Kurz nach Beginn des 1. Weltkrieges wurde das Sprengen mit flüssigem Sauerstoff eingeführt, da der Import von Chile-Salpeter wegfiel, und der Bedarf von herkömmlichen Sprengstoff für die Armee stark angestiegen war. Auf der Hauptstreckenförderung waren für den Transport zwei Pferde im Einsatz, die bei dem Wassereinbruch nicht mehr gerettet werden konnten. Ab 1904 wurden auf der 4. Sohle bereits elektrische Grubenlokomotiven von Siemens & Halske eingesetzt.
Bezüglich der Rohsalzverarbeitung sollte noch eine Chlorkaliumfabrik errichtet werden. Da die Oker im Braunschweiger Raum bereits durch salzhaltige Abwässer belastet war, musste eine andere Lösung gefunden werden. Deshalb wurde diese Fabrik in Langelsheim gebaut, um die Abwässer in die Innerste zu leiten. Am Schacht I wurde das Carnallitit-Gestein auf Bahnwaggons verladen und nach Langelsheim transportiert. Da die Produktion dieser Fabrik immer mehr gesteigert wurde, fielen immer mehr Abwässer an, die jedoch die festgelegten Grenzwerte überstiegen. Die vermeintlich gute Idee, einen Teil der Laugen in stillgelegten Steinbrüchen um die Ringelheimer Mulde zu entsorgen, erwies sich als finanzielles Desaster. Schon nach wenigen Jahren traten diese Laugen in den Kalkquellen von Baddeckenstedt wieder zu Tage. Daraufhin musste das Kaliwerk für den Ort eine neue Wasserleitung bauen. Da die Stadt Hildesheim auch an dieser Trinkwasserversorgung angeschlossen war, vergrößerte sich der Schaden noch beträchtlich. Jetzt stellte das Kaliwerk auf Förderung von Sylvinit-Gestein um. Damit fielen diese Laugen nicht mehr an und die Produktion in Langelsheim wurde eingestellt. Die Verarbeitung dieses Gesteines übernahm jetzt eine neu errichtete Fabrik auf Schacht II. Durch das „Absaufen“ anderer Bergwerke auf Grund des intensiven Abbaus von Kainitit-Gestein in den Jahren von 1886 – 1906 erlebte das Kaliwerk eine Glanzzeit in der Produktion.
Leider kam es in dem Kalischacht auch manchmal zu Unfällen. Dazu schrieb die Goslarsche Zeitung am 10. Januar 1917 folgenden Bericht: In Wiedelah wurde am Sonntag der 58-jährige Bergmann Karl Gräfling, welcher vor Weihnachten im Kalischacht einem Unglücksfall zum Opfer fiel und dieser Tage in Göttingen in der Klinik verstarb, unter großer Beteiligung der Belegschaft und Beamten zur letzten Ruhe gebettet.
Im April 1923 wurde das Kaliwerk in die neugegründete „Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft“ mit Sitz in Berlin übernommen, nachdem es bereits 18 Jahre vorher von der Gewerkschaft Hercynia in den staatlichen Besitz der „Königlich Preußischen Berginspektion“ übergegangen war.
In den Jahren 1924 – 1928 wurde Schacht III, der Röhrig-Schacht, bis in 623m Tiefe in der Gemarkung Wöltingerode errichtet und auf der 4. und 6. Sohle mit Schacht II verbunden. Dadurch wurde Schacht I entbehrlich und somit geschlossen. Das Nützlichste an diesem Schacht III war aber, das sich die meisten Bergleute durch diesen Schacht während der Katastrophe retten konnten.

44 Jahre wurde in dem Kalibergwerk mit immer guten Gewinnen das Salzgestein gefördert. Bereits im ersten Betriebsjahr 1886 hatte man allerdings durch den Kainitit-Abbau bereits einen Zufluss von Soleflüssigkeit ausgelöst, der etwa 5 ltr / min betrug und über Jahrzehnte anhielt. Von 1926 an stieg diese Zahl jedoch auf 70 ltr / min. Am 8. Mai erfolgte an der seit 1886 bestehenden Schadensstelle der katastrophale Wassereinbruch. Bis zu diesem Zeitpunkt waren an dieser Stelle etwa 250.000 m³ Lauge geflossen. Das Wasser löste das Salz und die Grube füllte sich immer rasanter. Das Bergwerk musste binnen weniger Stunden aufgegeben werden. Alle Bergleute konnten sich retten, mussten jedoch die Pferde zurücklassen.

Ein Augenzeuge, der Grubenbetriebsführer Wilhelm Eckert , der sich als einer der beiden letzten Arbeiter in der Grube aufgehalten hat, nachdem er gegen 10:00 Uhr durch einen Steiger vom Anschwellen des Laugenzuflusses unterrichtet worden war, hinterließ folgenden Bericht:
„Bei der Befahrung des Pumpenraumes stellten wir fest, dass die zufließende Lauge vollkommen trübe, also mit Buntsteinschlamm durchsetzt war. In der Zugangsstrecke zur Kainitfirste wurde schon fußhoch Buntsteinschlamm angetroffen, der nach der Einbruchstelle erheblich zunahm. Wir versuchten, weiter vorzudringen, aber nach 50m Entfernung lag der Schlamm so hoch, dass ein weiteres Vordringen unmöglich wurde. Plötzlich hörten wir nach vorheriger völliger Ruhe ein Rauschen und Knacken; daraufhin rief ich: ‚Sofort zurück‘ und wir kletterten im benachbarten Blindschacht auf die 18m höhere Wettersohle. Soeben, als wir diese erreicht hatten, ertönte ein donnerartiges Getöse. Ein erneuter Durchbruch war erfolgt, und man hörte, wie Wasser und Schlamm im Blindschacht hinunterstürzten, Zimmerung und Geröll mit sich reißend .“
Auf Veranlassung des stellvertretenden Werkdirektors, Bergassessor von Velsen-Zerweck, fuhr Eckert mit diesem Bergassessor gegen 12:30 Uhr nochmals zur 318m-Sohle, und um Haaresbreite entgingen beide dabei dem nassen Tod. Die Lauge verwehrte ihnen bereits ein weiteres Vordringen zur Erkundung, und als sie vom Füllort der dritten Sohle des Schachtes I (Neubauerschacht / Wiedelah) ausfahren wollten, ergoss sich hier bereits ein derart stark mit Geröll durchmengter Laugenstrom, dass ihnen eine Ausfahrt unmöglich erschien
Herr Eckert berichtet weiter:.
„Es blieb uns nichts anderes übrig, wir mussten den Rückzug antreten, aber nach einigen 100m kam uns nun auch aus westlicher Richtung ein Laugenstrom entgegen, der, infolge des Gefälles der Strecke, nach Schacht I floss und ständig zunahm.Wir versuchten trotzdem durchzukommen, aber der uns entgegenkommende Laugenstrom hatte bereits Brusthöhe erreicht, und im Lichtschein unserer Lampen sahen wir, dass die Strecke weiter westlich fast vollständig ausgefüllt war.“
Die Beiden kehrten wieder in den Füllort von Schacht I zurück, konnten von hier aus den Fördermaschinisten noch telefonisch erreichen und sprangen durch die niederstürzende Lauge in den Förderkorb, der aufgeholt wurde.
Herr Eckert berichtet weiter:
„Aber als der Korb zur 2. Sohle kam, wo sich die Laugenmassen in den Schacht ergossen, machte der Korb einen Sprung nach oben, und wir glaubten, das Förderseil würde reißen. Vollkommen durchnässt und von Schlamm überzogen, erreichten wir gegen 15:30 Uhr wieder das Tageslicht.“

12 Stunden nach dem Wassereinbruch entstand ein riesiger Krater, der erst nach Tagen einigermaßen zur Ruhe kam. Die abgesackten Gesteinsmassen schätzte man auf 450.000m³. und der Krater hatte einen Durchmesser von ca. 100m. Nur 10m vom Kraterrand entfernt stand ein Bahnwärterhaus, in dem der Bahnbeamte wohnte, der sofort die Sperrung der Wiedelah berührenden Schnellzugstrecke veranlasste. Zusätzlich zu diesem Krater bildeten sich noch an 17 Stellen u. a. an der Osterwiecker Straße in Vienenburg weitere Erdfälle. Der größte Erdfall ereignete sich 1960 nahe Vienenburg in der Okerniederung. Infolge des Abflusses der Oker in die Berggrube sank auch der Grundwasserspiegel beträchtlich. In Wiedelah versiegten alle Brunnen, und der normale Grundwasserspiegel stellte sich erst nach ca. drei Monaten wieder ein. Durch diese massive Grundwasserabsenkung mit verbundenen Erdbewegungen wurden in Vienenburg viele Gebäudeschäden verursacht.

Ein großer Teil der Belegschaft von 429 Beschäftigten fand wieder Arbeit im Kaliwerk Kleinbodungen bei Bleicherode, ein anderer Teil bei der Vienenburger Baufirma Sievers, die auch im Schachtbau tätig war und später ihr Arbeitsfeld auf ganz Deutschland ausdehnte. Andere wurden mit dem Abbau des Kaliwerkes beschäftigt oder gingen in den Ruhestand. Leider blieb für einige nur die Arbeitslosigkeit über. Durch diesen katastrophalen Einbruch sank die Einwohnerzahl in Wiedelah und Vienenburg durch den Weggang von vielen Familien erheblich.

In den Jahren 1933 – 1940 wurden die drei Schächte mit Mauerschutt, Kies, Asche und Buntsandstein verfüllt und anschließend mit Betondeckeln verschlossen, die inzwischen von einer dichten Pflanzendecke überzogen sind.
Die Kali-Düngemittelfabrik „Guano-Werke“ und die Baufirma Sievers, die großen wirtschaftlichen Nutzen vom Kalibergwerk (auch andere kleine Betriebe) hatten, konnten trotzdem weitergeführt werden, aber heute existieren sie auch nicht mehr.

Ab 1950 wurde überlegt, ob das Kalibergwerk noch einmal in Betrieb gesetzt werden könnte. In den Jahren 1952 – 1954 wurden drei Erkundungsbohrungen in der Gemarkung Wöltingerode und Weddingen durchgeführt, teilweise bis auf 1208m Tiefe. Die Ergebnisse dieser Bohrungen beendeten diese Überlegungen jedoch endgültig.

Quelle: Sondershäuser Hefte zur Geschichte der deutschen Kali-Industrie, Heft 4 / 2001, Hans-Heinz Emons und Günther Duchrow

Die Münchener Zeitung “Illustrierter Sonntag berichtet über die Katastrophe im Kalibergwerk:
x Münchener Zeitung “Illustrierter Sonntag” über Unglück im Kalibergwerk x