Die Geschichte des Kalibergwerkes Hercynia im Harly von 1884 – 1930
Das Jahr 1861 ging (mit der Aufnahme der planmäßigen Produktion von angereichertem Kaliumchlorid) als das eigentliche Gründungsjahr der deutschen Kaliindustrie in die Geschichte ein. Ab diesem Zeitraum setzte eine rasante Entwicklung dieses Bergbau-Industriezweiges ein, welche als Kalifieber in die deutsche Geschichte einging.
Das einst bei Wiedelah eingerichtete und später bis nach Vienenburg und Wöltingerode wachsende Kalibergwerk im Harly war die erste Bergwerksanlage zur Nutzung von Kalisalzvorkommen in Niedersachsen. Das Bergwerk wuchs zu einem der bedeutendsten Kaliproduktionsstätten in Deutschland heran.
Ab 1884 wurde der Schacht I geteuft. Er wurde Neubauer-Schacht genannt, nach dem Bankier F. A. Neubauer des gleichnamigen Bankhauses in Magdeburg , der u. a. mit im Grubenvorstand seinen Sitz hatte. Bereits 1886 konnte die Produktion auf Schacht I aufgenommen werden, die 44 Jahre anhielt, bis 1930 durch einen Laugeneinbruch die Katastrophe hereinbrach und das Bergwerk für immer lahm legte.
Am 16.01.1906 berichtet die Münchener Allgemeine Zeitung unter den Handelsnachrichten über ein Angebot der preußischen Regierung zum Kauf des Kaliwerkes Hercynia:
x Angebot zur Verstaatlichung des Kalibergwerkes x
Grundeigentümer dieses 6000 Morgen umfassenden Gebietes war die Königliche Klosterkammer zu Hannover. Sie übertrug die Abbaurechte auf Kalisalz im Jahre 1885 an ein Konsortium, das vom Bergwerkbesitzer Castendyk dafür gegründet worden war. Das Gebiet erstreckte sich über die Forstorte Harlyberg, Harlyburg, Konthurberg bis zum Klostergut Wöltingerode. Gleich 3 Bohrgesellschaften hatten durch 6 Tiefbohrungen in den Jahren vor 1884 festgestellt, dass genügend kaliflözhaltige Zechsteinsalze vorhanden waren.
Am 14.03.1887 übernahm die Gewerkschaft Hercynia anhand eines Vertrages die Rechte des Gründungskonsortiums. Im Grubenvorstand befanden sich u. a. mehrere Bankiers, wie z. B. aus dem Schaafhausenschen Bankvereins und der Magdeburger Bank F. A. Neubauer. Letztere fungierte auch als Zahlstelle der Gewerkschaft und lieferte auch den Namen für Schacht I.
Der Bergwerksbetreiber hatte für das Abbaurecht einen Förderzins von 1 Pfg. pro Zentner Steinsalz und 2 Pfg. pro Zentner Kalisalz sowie 8% des Reingewinns an die Klosterkammer zu entrichten. Das Abbaurecht war durch den Pachtvertrag bis zum Jahr 1943 gewährleistet.
Das Werk wurde von dem 31-jährigen Generaldirektor (später Bergrat) Berthold Wiefel bis zu seinem Tode 1911 geleitet.
Leider kam es in dem Kalischacht auch manchmal zu Unfällen. Dazu schrieb die Goslarsche Zeitung am 10. Januar 1917 folgenden Bericht: In Wiedelah wurde am Sonntag der 58-jährige Bergmann Karl Gräfling, welcher vor Weihnachten im Kalischacht einem Unglücksfall zum Opfer fiel und dieser Tage in Göttingen in der Klinik verstarb, unter großer Beteiligung der Belegschaft und Beamten zur letzten Ruhe gebettet.
Im April 1923 wurde das Kaliwerk in die neugegründete „Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft“ mit Sitz in Berlin übernommen, nachdem es bereits 18 Jahre vorher von der Gewerkschaft Hercynia in den staatlichen Besitz der „Königlich Preußischen Berginspektion“ übergegangen war.
In den Jahren 1924 – 1928 wurde Schacht III, der Röhrig-Schacht, bis in 623m Tiefe in der Gemarkung Wöltingerode errichtet und auf der 4. und 6. Sohle mit Schacht II verbunden. Dadurch wurde Schacht I entbehrlich und somit geschlossen. Das Nützlichste an diesem Schacht III war aber, das sich die meisten Bergleute durch diesen Schacht während der Katastrophe retten konnten.
44 Jahre wurde in dem Kalibergwerk mit immer guten Gewinnen das Salzgestein gefördert. Bereits im ersten Betriebsjahr 1886 hatte man allerdings durch den Kainitit-Abbau bereits einen Zufluss von Soleflüssigkeit ausgelöst, der etwa 5 ltr / min betrug und über Jahrzehnte anhielt. Von 1926 an stieg diese Zahl jedoch auf 70 ltr / min. Am 8. Mai erfolgte an der seit 1886 bestehenden Schadensstelle der katastrophale Wassereinbruch. Bis zu diesem Zeitpunkt waren an dieser Stelle etwa 250.000 m³ Lauge geflossen. Das Wasser löste das Salz und die Grube füllte sich immer rasanter. Das Bergwerk musste binnen weniger Stunden aufgegeben werden. Alle Bergleute konnten sich retten, mussten jedoch die Pferde zurücklassen.
Ein Augenzeuge, der Grubenbetriebsführer Wilhelm Eckert , der sich als einer der beiden letzten Arbeiter in der Grube aufgehalten hat, nachdem er gegen 10:00 Uhr durch einen Steiger vom Anschwellen des Laugenzuflusses unterrichtet worden war, hinterließ folgenden Bericht:
„Bei der Befahrung des Pumpenraumes stellten wir fest, dass die zufließende Lauge vollkommen trübe, also mit Buntsteinschlamm durchsetzt war. In der Zugangsstrecke zur Kainitfirste wurde schon fußhoch Buntsteinschlamm angetroffen, der nach der Einbruchstelle erheblich zunahm. Wir versuchten, weiter vorzudringen, aber nach 50m Entfernung lag der Schlamm so hoch, dass ein weiteres Vordringen unmöglich wurde. Plötzlich hörten wir nach vorheriger völliger Ruhe ein Rauschen und Knacken; daraufhin rief ich: ‚Sofort zurück‘ und wir kletterten im benachbarten Blindschacht auf die 18m höhere Wettersohle. Soeben, als wir diese erreicht hatten, ertönte ein donnerartiges Getöse. Ein erneuter Durchbruch war erfolgt, und man hörte, wie Wasser und Schlamm im Blindschacht hinunterstürzten, Zimmerung und Geröll mit sich reißend .“
Auf Veranlassung des stellvertretenden Werkdirektors, Bergassessor von Velsen-Zerweck, fuhr Eckert mit diesem Bergassessor gegen 12:30 Uhr nochmals zur 318m-Sohle, und um Haaresbreite entgingen beide dabei dem nassen Tod. Die Lauge verwehrte ihnen bereits ein weiteres Vordringen zur Erkundung, und als sie vom Füllort der dritten Sohle des Schachtes I (Neubauerschacht / Wiedelah) ausfahren wollten, ergoss sich hier bereits ein derart stark mit Geröll durchmengter Laugenstrom, dass ihnen eine Ausfahrt unmöglich erschien
Herr Eckert berichtet weiter:.
„Es blieb uns nichts anderes übrig, wir mussten den Rückzug antreten, aber nach einigen 100m kam uns nun auch aus westlicher Richtung ein Laugenstrom entgegen, der, infolge des Gefälles der Strecke, nach Schacht I floss und ständig zunahm.Wir versuchten trotzdem durchzukommen, aber der uns entgegenkommende Laugenstrom hatte bereits Brusthöhe erreicht, und im Lichtschein unserer Lampen sahen wir, dass die Strecke weiter westlich fast vollständig ausgefüllt war.“
Die Beiden kehrten wieder in den Füllort von Schacht I zurück, konnten von hier aus den Fördermaschinisten noch telefonisch erreichen und sprangen durch die niederstürzende Lauge in den Förderkorb, der aufgeholt wurde.
Herr Eckert berichtet weiter:
„Aber als der Korb zur 2. Sohle kam, wo sich die Laugenmassen in den Schacht ergossen, machte der Korb einen Sprung nach oben, und wir glaubten, das Förderseil würde reißen. Vollkommen durchnässt und von Schlamm überzogen, erreichten wir gegen 15:30 Uhr wieder das Tageslicht.“
Ein großer Teil der Belegschaft von 429 Beschäftigten fand wieder Arbeit im Kaliwerk Kleinbodungen bei Bleicherode, ein anderer Teil bei der Vienenburger Baufirma Sievers, die auch im Schachtbau tätig war und später ihr Arbeitsfeld auf ganz Deutschland ausdehnte. Andere wurden mit dem Abbau des Kaliwerkes beschäftigt oder gingen in den Ruhestand. Leider blieb für einige nur die Arbeitslosigkeit über. Durch diesen katastrophalen Einbruch sank die Einwohnerzahl in Wiedelah und Vienenburg durch den Weggang von vielen Familien erheblich.
In den Jahren 1933 – 1940 wurden die drei Schächte mit Mauerschutt, Kies, Asche und Buntsandstein verfüllt und anschließend mit Betondeckeln verschlossen, die inzwischen von einer dichten Pflanzendecke überzogen sind.
Die Kali-Düngemittelfabrik „Guano-Werke“ und die Baufirma Sievers, die großen wirtschaftlichen Nutzen vom Kalibergwerk (auch andere kleine Betriebe) hatten, konnten trotzdem weitergeführt werden, aber heute existieren sie auch nicht mehr.
Ab 1950 wurde überlegt, ob das Kalibergwerk noch einmal in Betrieb gesetzt werden könnte. In den Jahren 1952 – 1954 wurden drei Erkundungsbohrungen in der Gemarkung Wöltingerode und Weddingen durchgeführt, teilweise bis auf 1208m Tiefe. Die Ergebnisse dieser Bohrungen beendeten diese Überlegungen jedoch endgültig.
Quelle: Sondershäuser Hefte zur Geschichte der deutschen Kali-Industrie, Heft 4 / 2001, Hans-Heinz Emons und Günther Duchrow
Die Münchener Zeitung “Illustrierter Sonntag berichtet über die Katastrophe im Kalibergwerk:
x Münchener Zeitung “Illustrierter Sonntag” über Unglück im Kalibergwerk x